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  • ERKLÄRUNG ZUR GELDPOLITIK

PRESSEKONFERENZ

Christine Lagarde, Präsidentin der EZB,
Luis de Guindos, Vizepräsident der EZB

Frankfurt am Main, 28. Oktober 2021

Guten Tag, der Vizepräsident und ich begrüßen Sie zu unserer Pressekonferenz.

Die Wirtschaft des Euroraums erholt sich weiter kräftig, wenngleich die Dynamik dieser Entwicklung etwas nachgelassen hat. Die Verbraucher sind weiterhin zuversichtlich und ihre Konsumausgaben bleiben auf hohem Niveau. Allerdings wird die Produktion in einigen Sektoren durch Engpässe bei Material, Ausrüstung und Arbeitskräften gebremst. Die Inflation steigt, was in erster Linie auf die kräftig anziehenden Energiepreise zurückzuführen ist. Aber auch die Tatsache, dass sich die Nachfrage rascher erholt als das derzeit eingeschränkte Angebot, trägt zu diesem Anstieg bei. Wir erwarten, dass sich die Inflation auf kurze Sicht weiter erhöht, im Lauf des nächsten Jahres dann aber nachgibt.

Die Marktzinsen sind seit unserer letzten Sitzung Anfang September gestiegen. Die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, private Haushalte und den öffentlichen Sektor bleiben derzeit insgesamt dennoch günstig. Günstige Finanzierungsbedingungen sind entscheidend, damit die konjunkturelle Erholung anhält und um den negativen Auswirkungen der Pandemie auf die Inflationsentwicklung entgegenzuwirken.

Wir sind weiterhin der Auffassung, dass günstige Finanzierungsbedingungen auch dann aufrechterhalten werden können, wenn der Umfang des Nettoerwerbs von Vermögenswerten im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) gegenüber dem zweiten und dritten Quartal dieses Jahres moderat reduziert wird.

Wir haben auch unsere anderen Maßnahmen bestätigt: die Höhe der EZB-Leitzinsen, unsere Forward Guidance zu deren voraussichtlicher Entwicklung, unsere Ankäufe im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (Asset Purchase Programme – APP), unsere Wiederanlagestrategie und unsere längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte. Weitere Informationen dazu finden sich in der heute um 13:45 Uhr veröffentlichten Pressemitteilung. Wir sind bereit, alle unsere Instrumente gegebenenfalls anzupassen, um sicherzustellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei unserem Zielwert von 2 % stabilisiert.

Ich werde nun näher erläutern, wie sich die Wirtschaft und die Inflation unseres Erachtens entwickeln werden. Anschließend werde ich auf unsere Einschätzung der finanziellen und monetären Bedingungen eingehen.

Wirtschaftstätigkeit

Die Wirtschaft ist auch im dritten Quartal kräftig gewachsen, obgleich die Dynamik leicht nachgelassen hat. Wir gehen weiterhin davon aus, dass die Wirtschaftsleistung bis Jahresende das Niveau übertrifft, das sie vor Ausbruch der Pandemie hatte.

Die Pandemie beeinträchtigt das Wirtschaftsgeschehen nun deutlich weniger: Beschränkungen wurden aufgehoben, da Gesundheitsschutzmaßnahmen Erfolg zeigten, und viele Menschen sind mittlerweile geimpft. Dies hat positive Auswirkungen auf die Konsumausgaben, insbesondere in den Bereichen Unterhaltung, Gastronomie, Tourismus und Verkehr. Durch die höheren Energiepreise könnte die Kaufkraft in den kommenden Monaten jedoch sinken.

Die Erholung der globalen und der binnenwirtschaftlichen Nachfrage stützt auch die Produktion und Unternehmensinvestitionen. Gleichzeitig wird die Aktivität im verarbeitenden Gewerbe durch Engpässe bei Material, Ausrüstung und Arbeitskräften gebremst. Lieferzeiten haben sich beträchtlich verlängert, und Transportkosten und Energiepreise sind kräftig gestiegen. Dadurch haben sich die Aussichten für die kommenden Quartale eingetrübt.

Die Lage am Arbeitsmarkt verbessert sich unterdessen weiter. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, und gegenüber dem Höchststand im letzten Jahr befinden sich deutlich weniger Menschen in Programmen zur Arbeitsplatzsicherung. Das unterstützt die Aussicht auf steigende Einkommen und höhere Ausgaben. Gleichzeitig liegt sowohl die Anzahl der Erwerbspersonen als auch die Anzahl der in der Volkswirtschaft geleisteten Arbeitsstunden weiterhin unter ihrem Vorpandemieniveau.

Um die wirtschaftliche Erholung aufrechtzuerhalten, sollte die Geldpolitik weiterhin durch eine zielgerichtete und koordinierte Finanzpolitik ergänzt werden. Diese Unterstützung wird ebenfalls dazu beitragen, dass die Wirtschaft sich an die strukturellen Veränderungen anpasst, die sich gegenwärtig abzeichnen. Eine effektive Umsetzung des Programms „Next Generation EU“ und des „Fit für 55“-Pakets wird zu einer kräftigeren, grüneren und gleichmäßigeren Erholung in den Euro-Ländern beitragen.

Inflation

Die Inflation ist im September auf 3,4 % gestiegen. Für das laufende Jahr rechnen wir mit einem weiteren Anstieg. Die aktuelle Phase höherer Inflation wird zwar länger dauern als ursprünglich erwartet. Wir gehen aber davon aus, dass die Inflation im Lauf des nächsten Jahres wieder sinken wird.

Der derzeitige Inflationsanstieg ist auf das Zusammenwirken von drei Faktoren zurückzuführen: Erstens haben die Energiepreise – insbesondere die Preise für Öl, Gas und Strom – kräftig angezogen. Im September war etwa die Hälfte der Gesamtinflation der Energiepreisinflation geschuldet. Zweitens steigen die Preise, weil die Nachfrage, die sich mit dem Wiederhochfahren der Wirtschaft erholt, stärker wächst als das Angebot. Besonders deutlich zeigt sich diese Entwicklung in den Preisen für verbrauchernahe Dienstleistungen sowie für die Waren, die von Angebotsengpässen am stärksten betroffen sind. Und drittens tragen Basiseffekte im Zusammenhang mit dem Auslaufen der Mehrwertsteuersenkung in Deutschland noch immer zur höheren Inflation bei.

Unserer Erwartung nach werden sich alle drei Faktoren im Verlauf des Jahres 2022 abschwächen oder aus der Berechnung der jährlichen Inflationsrate herausfallen. Mit anhaltender konjunktureller Belebung wird die Wirtschaft allmählich ihr Potenzial wieder voll ausschöpfen und so einen Anstieg der Löhne im Zeitverlauf stützen. Marktbasierte und umfragebasierte Messgrößen der längerfristigen Inflationserwartungen haben sich dem Wert von 2 % angenähert. Diese Faktoren werden die zugrunde liegende Inflation und die Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel unterstützen.

Risikobewertung

Die Erholung hängt nach wie vor vom Pandemieverlauf und von weiteren Impffortschritten ab. Die Risiken für die Konjunkturaussichten bewerten wir als weitgehend ausgewogen. Auf kurze Sicht sind Angebotsengpässe und steigende Energiepreise die Hauptrisiken für das Tempo der konjunkturellen Belebung und die Inflationsaussichten. Sollten die Angebotsengpässe und die höheren Energiepreise länger andauern, könnten sie die Erholung verlangsamen. Zugleich könnte der Preisdruck zunehmen, wenn hartnäckige Engpässe dazu führen, dass die Löhne stärker steigen als erwartet, oder wenn die Wirtschaft ihre Kapazität rascher wieder voll ausschöpft. Die Wirtschaftstätigkeit könnte unsere Erwartungen jedoch übertreffen, falls die Verbraucher zuversichtlicher werden und weniger sparen als derzeit erwartet.

Finanzielle und monetäre Bedingungen

Für das Wirtschaftswachstum und die mittelfristige Inflationsdynamik sind weiterhin günstige Finanzierungsbedingungen für alle Wirtschaftssektoren erforderlich. Die Marktzinsen sind gestiegen. Dennoch bleiben die Finanzierungsbedingungen für die Wirtschaft günstig, nicht zuletzt, weil die Zinsen für Bankkredite an Unternehmen und private Haushalte nach wie vor auf einem historisch niedrigen Niveau liegen. Die Kreditvergabe an Unternehmen bleibt moderat, auch wenn sie im September gestiegen ist. Dies spiegelt nach wie vor die Tatsache wider, dass die Firmen allgemein einen geringeren Bedarf an Außenfinanzierung haben, da sie über hohe Liquiditätsbestände verfügen und zunehmend Gewinne einbehalten. Die Kreditvergabe an private Haushalte bleibt kräftig, was der Nachfrage nach Immobilienkrediten zuzuschreiben ist. Aus unserer jüngsten Umfrage zum Kreditgeschäft der Banken geht hervor, dass sich die Kreditbedingungen für Unternehmen stabilisiert haben und – erstmals seit 2018 – von einer niedrigeren Risikowahrnehmung der Banken gestützt wurden. Bei den Wohnungsbaukrediten hingegen sind die Banken etwas vorsichtiger geworden und haben ihre Richtlinien für diese Kredite dementsprechend verschärft. Die günstigen Refinanzierungsbedingungen stärken weiterhin die nach wir vor soliden Bankbilanzen.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Wirtschaft im Euroraum weiter kräftig erholt, wenn auch mit einer moderateren Dynamik. Steigende Energiepreise, die Erholung der Nachfrage und Angebotsengpässe lassen derzeit die Inflation ansteigen. Der Inflationsrückgang wird mehr Zeit in Anspruch nehmen als zuvor erwartet, aber wir erwarten, dass sich diese Faktoren im Verlauf des Jahres 2022 abschwächen. Wir erwarten weiterhin, dass die Inflation auf mittlere Sicht unter unserem Zielwert von 2 % bleiben wird. Unsere geldpolitischen Maßnahmen, darunter unsere geänderte Forward Guidance bezüglich der EZB-Leitzinsen, sind von entscheidender Bedeutung dafür, dass die Konjunktur den Weg einer nachhaltigen Erholung einschlägt und die Inflation auf mittlere Sicht letztendlich unseren Zielwert erreicht.

Wir sind nun gerne bereit, Ihre Fragen zu beantworten.

Der Wortlaut, auf den sich der EZB-Rat verständigt hat, ist der englischen Originalfassung zu entnehmen.

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