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Ein Jahr europäische Bankenaufsicht – Erwartungen erfüllt?

Rede von Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsgremiums des einheitlichen Aufsichtsmechanismus,
Austrian Bankers Business Lunch, Frankfurt, 13. Januar 2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

Die Weihnachtszeit ist vorbei, und auch der Jahreswechsel liegt hinter uns. Damit ist es der richtige Zeitpunkt, kurz das vergangene Jahr, das erste Lebensjahr des einheitlichen Aufsichtsmechanismus Revue passieren zu lassen. Und dann richten wir den Blick nach vorn, auf das, was die Aufsicht im Jahr 2016 beschäftigen wird.

Gerade nach dem ersten Jahr muss der SSM sich die Frage stellen, ob die europäische Bankenaufsicht die hohen, an sie gerichteten Erwartungen erfüllt hat.

Von uns wird erwartet, den SSM zu einer echten europäischen Institution zu machen. Er soll die Erfahrung von 19 nationalen Aufsichtsbehörden vereinen und einen gemeinsamen Standard schaffen, der es ermöglicht, die Banken frei von nationalen Interessen zu beaufsichtigen. Dabei sollte der SSM Risiken rechtzeitig erkennen, rasch reagieren sowie effektiv und effizient handeln.

Hat der SSM diese Erwartungen erfüllt? Aus meiner Sicht lautet die Antwort: ja. Nun gelte ich als Vice-Chair des SSM als befangen; deswegen wird es Sie nicht überraschen, wenn ich für diese Behauptung Belege anführe.

Erstens haben wir im vergangenen Jahr den sogenannten aufsichtlichen Überprüfungs- und Evaluierungsprozess nach einer einheitlichen Methode durchgeführt. Wir haben damit zum ersten Mal die instituts-spezifischen Risiken der größten Banken im Euro-Raum an einem einheitlichen Maßstab gemessen. Zweitens werden wir die Optionen und die Wahlrechte, die das europäische Recht für den zuständigen Aufseher vorsieht, nutzen und sie in allen Ländern des Euro-Raums einheitlich ausüben. Wir haben also auch hier begonnen, die Harmonisierung zu fördern.

Nicht nur deswegen haben wir im vergangenen Jahr also eine gute Grundlage für eine echte europäische Aufsicht geschaffen. Damit verschiebt sich in diesem Jahr der Fokus ein wenig: weg von den Methoden und Strukturen der Bankenaufsicht, hin zu den Inhalten der Bankenaufsicht.

Die eigentliche Aufgabe von Bankenaufsehern ist es, sich Sorgen zu machen – dafür werden wir bezahlt. Teil unserer Arbeit besteht darin, nach Risiken zu suchen, die die Stabilität des Bankensystems gefährden könnten. Mit Blick auf 2016 haben wir eine Reihe von Risiken identifiziert und darauf aufbauend fünf Aufsichtsschwerpunkte festgelegt.

Der erste Schwerpunkt betrifft die Geschäftsmodelle der Banken. Im Zentrum unserer Arbeit steht die Frage, welche Folgen sich für die Institute und deren Geschäftsmodelle aus den anhaltend niedrigen Zinsen ergeben. Bei der notwendigen Anpassung der Geschäftsmodelle ist eben nicht auszuschließen, dass Banken auf ihrer Jagd nach Rendite in riskantere Gebiete vordringen. Das erhöht nicht nur die Gefahr von Blasen auf den Finanzmärkten, sondern auch die Risiken der einzelnen Banken. Wir werden uns daher genau anschauen, ob die Banken ihre Geschäftsmodelle anpassen, in welche Richtung sie das tun, und welche Risiken sie damit eingehen.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf den Kreditrisiken. Wir sehen in einigen Banken noch hohe Bestände notleidender Kredite. Um dieses Problem auf europäischer Ebene aufsichtlich anzugehen, haben wir im vergangenen Jahr eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Diese Arbeitsgruppe soll einen konsistenten Aufsichtsansatz entwickeln und implementieren, um den Abbau der hohen Bestände notleidender Kredite zu unterstützen. Doch in unserem Schwerpunkt geht es nicht nur um notleidende Kredite; es geht auch um Klumpen-Risiken, um die Konzentration von Engagements in bestimmten Sektoren wie zum Beispiel dem Immobiliensektor.

Der dritte Schwerpunkt ist die Kapitalausstattung der Banken. Seit der Krise haben die Banken ihr Eigenkapital ohne Zweifel deutlich erhöht; die Kapitalausstattung des europäischen Bankensystems als Ganzes ist aus unserer Sicht zufriedenstellend. Uns geht es in diesem Schwerpunkt zum einen um die neuen Anforderungen für Kapitalbestandteile, die im Falle einer Bankpleite Verluste tragen – TLAC oder MREL sind hier die Stichworte. Zum anderen werden wir uns noch einmal genau anschauen, was eigentlich als Eigenkapital zählt. Und wir werden uns einen Überblick verschaffen über die internen Modelle und Prozesse der Banken, mit denen die Eigenkapitalausstattung bestimmt wird.

Der vierte Schwerpunkt ist der bankinternen Risikosteuerung gewidmet. Vor dem Hintergrund niedriger Zinsen, günstiger Refinanzierung und geringer Ertragskraft wird es immer wichtiger, dass Banken ihre Risiken angemessen steuern. Dazu braucht das Management eine gute Datengrundlage. Wir werden daher genaue Anforderungen an die Risikosteuerung und die Datenqualität formulieren.

Der fünfte Schwerpunkt schließlich liegt auf der Liquidität der Banken. Die Finanzkrise von 2008 hat gezeigt, wie gefährlich Liquiditätsprobleme sein können – nicht nur für die einzelne Bank, sondern für das gesamte Finanzsystem. Und nicht alle Banken erfüllen unsere Erwartungen an das Management von Liquiditätsrisiken. Wir werden uns daher vor allem die interne Liquiditätssteuerung der Banken anschauen, den so genannten Internal Liquidity Adequacy Assessment Process, kurz ILAAP.

Neben diesen fünf inhaltlichen Schwerpunkten arbeiten wir weiter an Strukturen und Methoden der Bankenaufsicht. Dazu gehört das Thema der so genannten nationalen Befugnisse. In vielen Ländern gewährt das nationale Recht den Aufsichtsbehörden Befugnisse innerhalb der Solvenzaufsicht, die im europäischen Recht nicht ausdrücklich genannt sind. Hier stellt sich die Frage, ob die EZB als europäische Institution diese Befugnisse direkt ausüben kann. Diese Frage ist bisher immer mit Blick auf den Einzelfall entschieden worden, was sicherlich nicht ideal ist. Hier brauchen wir eine konsistente Methode.

Zusätzlich müssen wir uns um die Delegation von Entscheidungen kümmern. Derzeit werden alle Entscheidungen vom Supervisory Board als Entwurf beschlossen und vom EZB-Rat getroffen. Allein im letzten Jahr haben wir gut 1.500 aufsichtliche Entscheidungen diesem Abstimmungsprozess unterworfen, darunter viele Routine-Entscheidungen. Um den obersten Gremien Gelegenheit zu geben, sich auf die wichtigen Fälle zu konzentrieren, denken wir darüber nach, zumindest die Routineentscheidungen zu delegieren.

Was wir dabei brauchen, ist ein Rahmenwerk, das eine einwandfreie Delegation von weniger wichtigen Entscheidungen ermöglicht – von solchen Entscheidungen also, die nur geringe Auswirkungen auf die Bank haben, oder die mit wenig Ermessensausübung Routine darstellen. Die Ausgestaltung der Delegation wird sicherstellen, dass die Mitarbeiter der EZB ein eindeutiges Entscheidungsgerüst haben, um die ihnen überlassenen Routine-Entscheidungen zu treffen.

Und „Delegation“ ist dann auch mein Stichwort. Ich beende an dieser Stelle den kurzen Rückblick auf 2015 sowie den Ausblick auf 2016 und delegiere an Sie, meine Damen und Herren, weiter: Bitte stellen Sie Ihre Fragen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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