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Niedrigzinsumfeld – eine ökonomische, rechtliche und gesellschaftspolitische Betrachtung

Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB, Hochschule der Deutschen Bundesbank, Hachenburg, 27. Oktober 2016

Sehr geehrter Herr Professor Keller,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Studierenden,

Sehr viel Richtiges und Originelles wird derzeit allenthalben zum Thema Niedrigzinsumfelds im öffentlichen Diskurs geäußert. Leider ist das Originelle nicht immer richtig, und das Richtige nicht immer originell.

Um ein wenig gedankliche Ordnung in die komplexe Debatte zu bringen, werde ich mich der Thematik aus drei Richtungen nähern: der ökonomischen, der rechtlichen sowie die gesellschaftlichen.

Wir befinden uns in einer Phase schwachen Wachstums und niedriger Zinsen – nicht nur in Europa, sondern in zahlreichen entwickelten Volkswirtschaften. Ohne, dass es bereits einen abschließenden Konsens gäbe, bietet die Wissenschaft einen bunten Strauß möglicher Erklärungen dafür an, dass das Wachstumspotenzial über die vergangenen Jahre gesunken ist. Unabhängig davon, ob die Ursachen auf der Nachfrage oder Angebotsseite zu suchen sind, herrscht doch weitgehend Einigkeit darüber, dass der starke relative Überhang an Ersparnissen – manche sprechen von einer Ersparnissschwemme [1] - dazu geführt hat, dass die langfristigen Zinsen weltweit gesunken sind.

FOLGEN NIEDRIGER ZINSEN AUF DIE WIRTSCHAFT

Dieses Niedrigzinsumfeld wirkt sich auf verschiedenste Art und Weise auf unser Leben aus. Fangen wir mit dem an, was Sie als Zentralbank-Anwärter mit Sicherheit am meisten interessiert: die ökonomischen Herausforderungen für die Europäische Zentralbank (EZB)

Niedrige Investitionen und eine erhöhte Sparneigung haben dazu geführt, dass der Gleichgewichtszins – der Preis, zu dem sich Spar- und Investitionstätigkeit ausgleichen – gesunken ist. Das ist insofern von Bedeutung, als dieser Zins eine wichtige Rolle für die Ausrichtung unserer Geldpolitik spielt. Aber dazu später mehr.

Die vielleicht größte Gefahr eines solchen Umfelds besteht darin, dass sich die einzelnen Entwicklungen gegenseitig verstärken können: dass die Erwartung eines geringeren Wachstums in der Zukunft schon heute zu niedrigeren Investitionen und übermäßigem Sparen führt.

Wie ich es an anderer Stelle formuliert habe, gilt es, ricardianisches Angstsparen zu vermeiden, das heißt, dass Sparer angesichts eines anhaltend niedrigen Zinsniveaus eine höhere Sparneigung entwickeln, um das gleiche Vermögen anzuhäufen wie bei einem höheren Zins[2]. Dass die Brutto-Sparquote in vielen Ländern des Euroraumes - Deutschland derzeit 17,5%, Frankreich 14,4% - in letzter Zeit wieder ansteigt, bedarf unserer Aufmerksamkeit.

Ähnlich argumentiert der Internationale Währungsfond. Er warnte jüngst vor einer „Falle des niedrigen Wachstums“.[3] Eine solche Entwicklung würde zu noch niedrigeren Zinsen führen, da immer mehr Ersparnisse um immer weniger Investitions- und Anlagemöglichkeiten konkurrieren. Erhöhte Deflationsrisiken können die Folge sein.

Solche Risiken kann eine Zentralbank nicht außer Acht lassen. Unser Mandat beruht auf dem Erhalt der Preisstabilität, die durch eine Inflationsrate von mittelfristig unter aber nahe 2% definiert ist. Sehen wir dieses Ziel in Gefahr, müssen wir handeln.

Rufen wir uns in Erinnerung, wie Geldpolitik traditionell funktioniert.

In seinem Hauptwerk Geldzins und Güterpreise (1898) untersuchte Knut Wicksell den Einfluss der Geldpolitik auf Investitions- und Sparverhalten, sowie die Konjunktur. Wird demnach der Leitzins unter den natürlichen Zins gesenkt, wird weniger gespart und mehr konsumiert. Der natürliche Zins dabei ist „jene Rate des Darlehenszinses, bei welcher dieser sich gegenüber den Güterpreisen durchaus neutral verhält.”[4]

In der Folge steigt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Für Unternehmer steigen dadurch die Anreize zu investieren, sie fragen verstärkt Kredite nach. Ist die Kreditnachfrage so groß, dass sie nicht von den vorhandenen Ersparnissen befriedigt wird, kann die Lücke von neu geschöpftem Geld geschlossen werden.

Zinssenkungen bewirken also Kreditschöpfungen, Investitionen und verstärkten Konsum. Die Investitionen führen zu stärkeren Entgeltzahlungen. Im Ergebnis steigen die Preise für Güter beschleunigt. Umgekehrt findet bei höheren Leitzinsen ein Dämpfen der Nachfrage und des Preisanstiegs statt.

In Kurzform: Unterschreitet der Marktzins den natürlichen Zins, kommt es tendenziell zu Inflation, im umgekehrten Fall zu Dis-Inflation oder gar Deflation.

Das Problem eines niedrigeren Gleichgewichtszinses ist dabei, dass es den Spielraum der Zentralbanken für unterstützende Maßnahmen einschränkt. Kommt es in einem solchen Umfeld zu weiteren ökonomischen Schocks auf Seiten der Nachfrage, muss die Zentralbank eher auf unkonventionelle Maßnahmen zurückgreifen, da sie den Leitzins nur begrenzt senken kann.

Das Maßnahmenpaket der EZB spiegelt diese Problematik wider. Es besteht aus einer Mischung von konventionellen und unkonventionellen Schritten: Zum einen haben wir den Leitzins auf null gesenkt – der Zinssatz für die Einlagenfazilität liegt sogar bei -0,4 Prozent. Darüber hinaus haben wir ein Kaufprogramm für Anleihen und Vermögenswerte gestartet und Banken langfristige Kredite zu günstigen Konditionen angeboten, die zusätzliche Kreditvergabe belohnen. Ziel all unserer Maßnahmen ist es, die Marktzinsen unter ihrem langfristigen Niveau zu halten und somit einen Anreiz für Investitionen und Konsum zu schaffen [5]. Letztendlich wollen wir damit erreichen, dass die Inflationsrate mittelfristig wieder nahe an die 2%-Marke gelangt. Da aber die langfristigen Zinsen bereits auf einem sehr niedrigen Niveau sind, müssen auch die Marktzinsen niedrig und sogar negativ sein, um das richtige Maß an Unterstützung zu liefern.

Um die Effektivität unseres Handelns zu beurteilen, ist es ist wichtig, unsere geldpolitischen Schritte nicht isoliert, sondern in ihrem Zusammenspiel zu betrachten: Die Nachfrage nach Krediten steigt,[6] und die Inflationsrate im Euroraum wird sich nach Schätzungen unseres Stabes 2018 auf 1,6% erhöhen. 2019 sollte sie unser Ziel von unter aber nahe 2% weitestgehend erreichen. Ergo: Unsere Geldpolitik wirkt.

Wir sind uns allerdings auch bewusst, dass unsere Maßnahmen Nebenwirkungen haben und behalten diese im Blick. Vor allem ist uns bewusst, dass diese Nebenwirkungen größer werden, je länger unsere Maßnahmen anhalten. Wir beobachten deshalb auch sehr genau, welche Auswirkungen das niedrige oder negative Zinsumfeld auf Banken, Versicherer und Sparer hat.

In der Tat klagen Banken darüber, dass die Profitabilität ihres Sektors unter dem Niedrigzinsumfeld leidet. Das gilt besonders für Institute, deren Geschäftsmodel stark vom Nettozinseinkommen abhängig ist. Erstens nehmen die Margen aus dem Geschäft der Fristentransformation wegen der sehr flachen Zinskurve ab. Und zweitens rentiert sich die einlagenorientierte Refinanzierung weniger, vor allem da die Weitergabe von negativen Zinsen an Privatkunden schwierig ist.

Einige Banken haben zwar angefangen Gebühren für Einlagen über €100 000 zu verlangen. Letzten Endes wird es jedoch darauf hinauslaufen, dass einige Banken ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen, um langfristig profitabel agieren zu können.

Gerade in Deutschland gibt es hier Handlungsbedarf. Und dieser ist nicht in erster Linie auf das Niedrigzinsumfeld zurückzuführen. Der deutsche Bankensektor zählt zu den größten des Euroraumes, ist aber zugleich der ineffizienteste. So haben die deutschen Banken eine Aufwands-Ertrags-Relation (cost-income-ratio), die mit 73% deutlich über dem Rest des Euroraumes liegt.

Und während andere Länder die Anzahl ihrer Banken nach der Finanz- und Wirtschaftskrise um fast ein Viertel reduziert haben, um Überkapazitäten abzubauen, waren es in Deutschland lediglich 10%. Unter Druck kommen auch Lebensversicherer und Pensionskassen, die ihren Kunden einen Nominalrendite versprochen haben: sie tun sich nun schwer, diese in dem aktuellen Marktumfeld zu erwirtschaften. Allerdings sehen wir bereits, dass sich die Branche anpasst und etwa verstärkt auf fondsgebundene Produkte und damit den dynamischeren Kapitalmarkt setzt. Aber es sind nicht nur Banken, Versicherer und Pensionskassen, die unter den niedrigen Zinsen leiden – es sind auch Sparer im Allgemeinen. Private Sparer fragen, ob es sich im aktuellen Umfeld überhaupt noch lohnt zu sparen. Dabei nehmen sie meist die Nominalverzinsung ihrer Einlagen als Maßstab. Was sie dabei allerdings nicht berücksichtigen, ist die reale Kaufkraft ihres Ersparten: das, was übrigbleit, wenn man die Inflationsrate abzieht. Betrachtet man zum Beispiel die reale Rendite von Bankeinlagen deutscher Privathaushalte seit 1991, zeigt sich, dass diese meist unter 1% verharrte, teilweise sogar im negativen Bereich. Die reale Gesamtportfoliorendite zeigt über den gleichen Zeitraum größere Schwankungen aufgrund von unterschiedlichen Treibern und lag zwischen 2008 und Anfang 2015 im Mittel bei gut 1,5%.[7]

In den vergangenen Jahren haben vor allem höhere Bewertungsgewinne die Gesamtrendite gestützt, wozu letztlich auch unser Anleihekaufprogramm beigetragen hat. Weil der Raum für weitere Bewertungsgewinne künftig allerdings als eher gering eingeschätzt wird, gehen Analysten in Deutschland davon aus, dass die Gesamtrenditen im kommenden Jahr rückläufig oder sogar negativ ausfallen könnten, auch aufgrund einer höheren Inflation.[8]

Diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass die Niedrigzinsphase zu einer strukturellen Veränderung im Finanzsystem führen kann, die wiederum neue Risiken aufwerfen könnte.

Besonders in Ländern des Euroraums, die sehr unter der Finanz- und Wirtschaftskrise gelitten haben, ist die Kreditvergabe einiger Banken noch immer stark durch die Altlasten aus Krisenzeiten eingeschränkt. Auf der Jagd nach Rendite und verstärkt durch den technologischen Fortschritt machen sich nun neue Akteure in diesen Bereichen breit. Vor allem Nichtbanken – die auch unter dem unglücklichen Titel Schattenbanken firmieren – greifen immer weiter in das traditionelle Bankgeschäft ein. Zugleich betreten gesunde, liquide Unternehmen der Realwirtschaft die Bühne der Intermediation und schließen Geschäfte mit ihren Kunden ab, die in der Vergangenheit Kreditinstituten vorbehalten waren.

Während derartige Entwicklungen grundsätzlich nicht schlecht sein müssen, sollten wir doch wachsam sein und die daraus entstehenden Risiken genau beobachten. So könnten zum Beispiel niedrigere Standards für die Vergabe von Krediten oder höhere Verschuldungsgrade die Folge sein. Zudem müssen wir die Liquiditätsrisiken und Vernetzung der einzelnen Sektoren im Auge behalten.

Trotz all dieser Nebenwirkungen möchte ich unterstreichen, dass der Nutzen unserer Geldpolitik bis jetzt überwiegt. Dies könnte sich allerdings ändern, je länger dieser Sonderzustand anhält. Vor allem müssen wir uns bewusst sein, dass die Reaktionen auf Zinssenkungen im negativen Bereich nicht unbedingt linear ausfallen.[9] Außerdem könnte die Effektivität der Maßnahmen abnehmen, je länger sie andauern. Dass die Dynamik in der zusätzlichen Kreditvergabe im Euroraum sich abschwächt und dass Kreditinstitute in Deutschland angeben, dass der negative Einlagenzins sich restriktiv auf ihre ausgereichten Kreditvolumina auswirkt, lässt aufhorchen.[10] Wir müssen wachsam sein, dass diese Entwicklung nicht auch auf andere Länder des Euroraumes übergreift.

Wenn es also darum geht abzuwägen, wie der weitere Kurs unserer Geldpolitik verlaufen soll, müssen wir dies in unserer Kosten-Nutzen-Analyse berücksichtigen. Dies betrifft Instrumente, Volumina und die Zeitachse.

RECHTLICHE AUSWIRKUNGEN

Lassen Sie mich nun auf die rechtliche Dimension zu sprechen kommen. Ich unterscheide dabei zwischen den privatrechtlichen Herausforderungen und dem Rechtsrahmen, dem die EZB unterliegt.

Im Finanzwesen gibt es viele Produkte, deren Vergütung auf einer variablen Zinsvereinbarung beruht. Das bedeutet, dass die Zinsen regelmäßig an den jeweils vorherrschenden Marktzinsen angepasst werden. Die rechtliche Lage ist dabei höchst unklar, da solche Vereinbarungen in Europa nicht ausschließlich dem Privatrecht, sondern mitunter regulatorischen Vorgaben unterliegen, unter der impliziten Annahme, dass in einer Marktwirtschaft Zinsen immer positiv sind.

Dieses neue Phänomen der negativen Zinsen schafft Ungewissheit und lässt viel Raum für Interpretation. Dies kann zu hohen Prozesskosten führen, sollte der Klärungsbedarf an die Gerichte herangetragen werden. Wo die rechtlichen Grenzen für unsere Geldpolitik liegen, ist hingegen sehr klar geregelt. Die Europäischen Verträge definieren das Ziel unserer geldpolitischen Maßnahmen: der Erhalt der Preisstabilität. In der Wahl der Instrumente, um dieses Ziel zu erreichen, ist die EZB allerdings weitgehen frei. Sie muss jedoch sicherstellen, dass die gewählten Instrumente notwendig, geeignet und verhältnismäßig sind. Zudem muss gewährleistet sein, dass das System der Europäischen Zentralbanken (ESZB) „im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb [handelt], wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird“.

Und schließlich ist es uns untersagt, monetäre Staatsfinanzierung zu betreiben. Dieses Verbot schützt die Geldpolitik davor, zum Spielball der Fiskalpolitik zu werden. Was also im ersten Moment wie eine Einschränkung aussehen mag, ist in Wirklichkeit eine Stärkung unseres Mandats und unserer Glaubwürdigkeit.

All unsere Maßnahmen, die wir im Verlauf der letzten Jahre getroffen haben, bewegen sich innerhalb dieses rechtlichen Rahmenwerks. Der Europäische Gerichtshof sowie das deutsche Verfassungsgericht haben dies unter Vorbehalt der Einhaltung der selbst gesetzten Begrenzungen bestätigt. Wir täten gut daran, diese Begrenzungen nicht nach Gutdünken zu Verrücken, was die derzeitige Rechtssicherheit in Frage stellen würde.

Im aktuellen Umfeld bedeutet dies, dass wir innerhalb unseres Mandats alles tun und tun werden, um Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten. Es bedeutet aber auch, dass andere ihren Teil dazu beitragen müssen, um den Euroraum langfristig wieder auf einen nachhaltigen Wachstumskurs zu bringen. Und hier spreche ich vor allem die Regierungen der Mitgliedsstaaten an, die die notwendigen Strukturreformen voran bringen müssen, um Arbeits- und Produktmärkte flexibler zu machen, um Bürokratie abzubauen und wo möglich in Bildung, Infrastruktur und Produktivitätsverbesserung zu investieren.

NÄHRBODEN FÜR POPULISTISCHE BEWEGUNGEN

Dies bringt mich zu meinem letzten Punkt: der gesellschaftliche Wandel. Wie das Niedrigzinsumfeld in dem wir als Zentralbank agieren, so finden auch die aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen ihre Ursache unter anderem im schwachen Wachstum und der damit einhergehenden hohen Arbeitslosigkeit in vielen Wirtschaftsräumen. Dass sich auch die jüngste Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank Anfang des Monats mit diesem Thema befasst hat, zeigt, wie wichtig es geworden ist.[11] Die Lösung dieser Probleme liegt allerdings nicht in der Hand der Zentralbanken. Wie ich bereits erläutert habe, sind wir ausschließlich für den Erhalt der Preisstabilität verantwortlich. Fiskalische Umverteilung, zum Beispiel, zur politisch gewollten Korrektur von Einkommensunterschieden, muss von demokratisch gewählten Parlamenten entschieden und getragen werden. Die Aufgabenverteilung ist klar.

Nichtsdestotrotz berührt uns der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahre und wir betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge.

Tatsache ist, dass sich viele Menschen in unserer Gesellschaft mit der Globalisierung schwertun. Sie vermuten, dass diese nur großen Unternehmen Vorteile bringt, die mitunter exzessive Steueroptimierung betreiben und Schutzregeln für Einzelne hinterfragen – Schutzregeln für diejenigen, die ihr Scherflein zum Allgemeinwesen beitragen. Dieses Gefühl hat offene Grenzen diskeditiert, verstärkt durch Emotionen, die mit der Flüchtlingskrise einhergehen.

Darüber hinaus bereiten wachsende Unsicherheit über eine gesicherte Altersversorgung, der Erhalt des Ersparten und ein sich eintrübender Wirtschaftsausblick den Nährboden für populistische Parteien und Bewegungen. Eine wachsende Zahl von Bürgern ist bereit, wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit zu opfern für ein – vermutetes – Mehr an Sicherheit.

In einem solchen Umfeld wird es für uns als Zentralbank schwerer, unsere geldpolitischen Entscheidungen zu erklären, besonders wenn sich einige Gruppierungen durch unsere Entscheidungen benachteiligt fühlen, wie beispielsweise die Sparer in Deutschland. Dieses Gefühl müssen wir ernst nehmen, obwohl der Sparzins den Zustand der Wirtschaft widerspiegelt und nicht in erster Linie Ergebnis geldpolitischer Maßnahmen ist.

Dabei haben unsere geldpolitischen Maßnahmen verhindert, dass der Euroraum in eine erneute Rezession abrutscht. Langfristig tragen unsere Entscheidungen dazu bei, den Geldwert stabil zu halten und sorgen somit für mehr Fairness in der Gesellschaft. Eine Studie der Bundesbank, zum Beispiel, die sich mit der Frage beschäftigt, ob und in welcher Weise die Geldpolitik die Verteilung von Einkommen und Vermögen beeinflusst, kommt zu dem Schluss, dass es sehr zweifelhaft ist, dass die expansiven geldpolitischen Sondermaßnahmen der letzten Jahre in der Gesamtschau die Ungleichheit erhöht haben.[12]

Lassen Sie mich zum Schluss kommen.

Das aktuelle Umfeld niedrigen Wachstums und die sich daraus ergebenen niedrigen Zinsen zeigen bereits deutliche ökonomische, rechtliche und gesellschaftliche Auswirkungen. Mit unseren geldpolitischen Entscheidungen der letzten Jahre verhindern wir, dass sich diese Situation in eine deflationäre Entwicklung ausweitet.

Letztlich geht es allerdings darum, das potenzielle Wirtschaftswachstum langfristig zu steigern, was dringend notwendig ist, um den Wohlstand auch für zukünftige Generationen zu sichern. Doch dies kann die Geldpolitik nicht leisten. Dazu bedarf es des Handelns anderer: jener, die befugt sind über Arbeitsmarktreformen, Investitionsanreize und Steuerpolitik zu entscheiden. Um eine nachhaltige Erholung voranzutreiben und um das potenzielle Wirtschaftswachstum zu erhöhen, sind Strukturreformen unabdingbar.

Je länger wir in diesem Niedrigzinsumfeld verharren, desto stärker werden die Nebenwirkungen unserer Maßnahmen hervortreten. Es muss aber unser aller Ziel sein, so bald wie möglich diesen Sonderzustand zu verlassen, um den möglichen Schaden so gering wie möglich zu halten.

  1. [1]Siehe B. Bernanke (2005), The Global Saving Glut and the U.S. Current Account Deficit, Sandridge Lecture, Virginia Association of Economics, Richmond, Virginia, Federal Reserve Board, März 2005.
  2. [2]Mersch, Y. „Unkonventionelle Geldpolitik – eine ordnungspolitische Würdigung“, Rede, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, den 16. Juni 2016
  3. [3]Lagarde C. We need Forceful Policies to Avoid the Low-Growth Trap, iMFdirect, 1 September 2016
  4. [4]Wicksell, K. 1898, Geldzins und Güterpreise.
  5. [5]Draghi, M. “Bekämpfung der Ursachen niedriger Zinsen”, Rede bei der Jahrestagung der Asiatischen Entwicklungsbank, Frankfurt, 2. Mai 2016
  6. [6]Bank Lending Survey, October 2016
  7. [7]Bundesbank Monatsbericht “Das Spar- und Anlageverhalten privater Haushalte in Deutschland vor dem Hintergrund des Niedrigzinsumfelds”, Oktober 2015
  8. [8]Deutsche Bank Research, Ausblick Deutschland – Schwierige Zeiten für deutsche Sparer, Oktober 2016
  9. [9]Mersch, Y. “Unkonventionelle Geldpolitik – eine ordnungspolitische Würdigung”, Rede an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 16 Juni 2016
  10. [10]ECB: The euro area bank lending survey, Third quarter of 2016, October 2016.
  11. [11]Communiqué of the Thirty-Fourth Meeting of the International Monetary and Financial Committee (IMFC), 8 October 2016
  12. [12]Deutsche Bundesbank, Monatsbericht September 2016 “Verteilungseffekte der Geldpolitik”
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