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Die Bankenaufsicht - Eine Herausforderung

Sabine Lautenschläger, Mitglied des Direktoriums der EZB, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Hamburg, 8. September 2014

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Die Übernahme der gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank wird nach Einschätzung von EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger die Wirksamkeit der Geldpolitik zusätzlich stärken. Die Zusammenführung der Aufsicht über einzelne Banken, der makroprudenziellen Aufsicht über die Finanzsysteme und der Geldpolitik unter einem Dach werde dazu beitragen wird, dass sich die Geldpolitik ganz auf die Wahrung von Preisstabilität konzentrieren könne, sagte Lautenschläger in einer Rede auf der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik in Hamburg. Das Zusammenwirken der drei Politikbereiche der Zentralbank verringere das Risiko der finanziellen Dominanz, stärke die Wirkungskette der Geldpolitik und verbessere die Steuerung des Finanzsystems.

"Beide Bereiche haben großes Interesse an soliden Banken mit tragfähigen Geschäftsmodellen, die die Realwirtschaft mit Krediten versorgen können", sagte Lautenschläger. Weil sich die Banken schon in den vergangenen Monaten auf die Bedingungen des bevorstehende Single Supervisory Mechanism (SSM) vorbereitet und ihre Kapitalbasis gestärkt haben, sei ihre Fähigkeit, die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen, schon vor dem eigentlichen Beginn der gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht gewachsen. Das stärke die Transmissionskette der Geldpolitik.

Insbesondere in Krisenzeiten sei es für die Zentralbank, die die Geschäftsbanken mit Krediten versorgt, von großer Bedeutung sauber zu unterscheiden zwischen gesunden Banken, die zwar solvent sind, aber trotzdem in Liquiditätsnot geraten sind, und insolventen Banken, die langfristig nicht überleben können. Eine starke europäische Bankenaufsicht könne einige der Unsicherheiten, mit denen die Solvenzeinschätzungen behaftet sind, ausräumen. Das werde der Zentralbank bei der Erfüllung ihrer Aufgaben helfen, denn dann könne sie Liquiditätshilfen geben, ohne dass sie befürchten müsse, ihr Mandat zu überschreiten, sagte Lautenschläger. Zuverlässige Solvenzinformationen könnten allerdings nur dann zum Abbau von finanzieller Dominanz beitragen, wenn es eine glaubwürdige Regelung für die Abwicklung von Banken gebe. Dafür seien ein gemeinsames Regelwerk und ein ausreichend finanzierter Abwicklungsfonds notwendig. Außerdem könnten strengere Regeln für die Vergabe von Notkrediten (Emergency Liquidity Assistance, ELA) durch nationale Notenbanken des Eurosystems an Geschäftsbanken mögliche Interessenkonflikte verringern.

Besonders in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwungs könnten die neuen Kompetenzen der EZB eine angemessene Reaktion auf möglichen Übertreibungen etwa auf den Märkten für Vermögenswerte ermöglichen. Ein Gegensteuern durch die Zinspolitik sei ungeeignet, weil dann das primäre Ziel der Preisstabilität gefährdet werden könnte, warnte Lautenschläger. Umso wichtiger sei deshalb, dass sich nun der Instrumentenkasten erweitere, der dem EZB-Rat zur Verfügung stehe, um Übertreibungen entgegen zu wirken.

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Meine heutige Rede widmet sich ganz dem Thema Beziehung oder konkreter gesagt: heute möchte ich über eine Dreiecksbeziehung sprechen; über das, was zu einer komplexen, und doch erfolgreichen Dreiecksbeziehung gehört, um den gemeinsamen und unterschiedlichen Zielen bzw. Interessen der drei Parteien in dieser Beziehung gerecht zu werden.

Seit diesem Jahr spielen Dreiecksbeziehungen, und insbesondere Arbeits- und Entscheidungsabläufe in einer solchen Beziehung für die EZB eine ganz bestimmte Rolle: Denn in knapp zwei Monaten nimmt der einheitliche Aufsichtsmechanismus seine Arbeit offiziell auf – und dann werden drei Politikfelder unter dem Dach der EZB vereint. Die Geldpolitik wird dabei selbstverständlich unsere Hauptaufgabe bleiben. Die EZB wird aber zusätzlich die Verantwortung für die Bankenaufsicht im Euroraum übernehmen. Und wir werden eine wichtige Rolle bei der Kalibrierung und Implementierung der makroprudenziellen Überwachung spielen, auch wenn nationale Behörden hierbei weiterhin federführend sein werden.

Jedes dieser Politikfelder hat sein Mandat, sein Ziel und auch seine eigenen Instrumente. Die Aufgabe der Geldpolitik ist es, Preisstabilität sicherzustellen. Zinspolitik ist hier in erster Linie das Standardinstrument (auch wenn es mittlerweile eine ganze Reihe von Maßnahmen gibt, die nicht dem üblichen Standard entsprechen). Die Ziele der Bankenaufsicht bestehen darin, die Sicherheit und die Stabilität des Bankensystems als Ganzes zu gewährleisten. Die Aufsicht verfügt seit der Krise über ein ganzes Arsenal an Instrumenten, die sich vor allem auf die Risikotragfähigkeit der einzelnen Banken beziehen. Ziel der makroprudenziellen Politik ist die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes. Auch wenn die EZB selbstverständlich über ihre Geldpolitik Einfluss auf die Finanzstabilität genommen hat, so wird sie ab November zusätzlich auch kapitalbasierte und liquiditätsbasierte Instrumente einsetzen können – und zwar bei den Instituten unter ihrer direkten oder indirekten Aufsicht.

Trotz der bestehenden Unterschiede sind die drei Politikfelder Geldpolitik, Bankenaufsicht und Finanzstabilität bzw. makroprudenzielle Überwachung eng miteinander verknüpft. Man könnte auch behaupten, sie befänden sich in einer Dreiecksbeziehung: Sie nehmen auf vergleichbare Variablen (wie Konsum und Investitionen) Einfluss und wirken über dieselben Transmissionskanäle (wie die Kreditvergabe der Banken). Instrumente, die in einem der drei Politikfelder eingesetzt werden, beeinflussen unweigerlich die anderen beiden; das macht es unumgänglich, Ziele der einzelnen Maßnahmen genau festzulegen und Zielkonflikte eindeutig zu regeln.

Wie das häufig in komplizierten Beziehungen der Fall ist, könnten wir den ganzen Tag damit verbringen, jede Seite dieser Beziehung genau auszuleuchten. Ich möchte mich heute gezielt der Frage widmen, wie das neue Rahmenwerk, wie die beiden neuen Aufgaben in der Bankenaufsicht und der makroprudenziellen Überwachung die EZB in ihrem Auftrag zur Wahrung der Preisstabilität sozusagen als Nebeneffekt unterstützen können. Um es vorwegzunehmen, es geht mir um financial dominance, geldpolitische Transmission und den Finanzzyklus.

1. Abbau der finanziellen Dominanz

Die klassische Funktion einer Zentralbank ist es, Liquidität für solvente Banken bereitzustellen. Und dieser Rolle ist die EZB wohl unbestritten auch in der Krise gerecht geworden. Unsere Kreditvergabe an Banken stieg um mehr als 800 Milliarden Euro von 2008 bis zum Höhepunkt der Krise 2012. Hätte die EZB nicht Liquidität bereit gestellt getan, wäre es zu Notverkäufen, zu einem abrupten Schuldenabbau und damit zu einer Verschärfung der Rezession gekommen - und dies hätte unseren Auftrag, Preisstabilität zu gewährleisten, erheblich erschwert.

Es besteht jedoch kein Zweifel, dass diese Kreditvergabe auch mit Risiken für die Zentralbank verbunden ist. Sie könnte in die Falle der financial dominance tappen: Die Zentralbank könnte Banken finanzieren, die nicht allein an einer vorübergehenden Liquiditätsschwäche leiden, sondern die dauerhaft nicht überlebensfähig, die nicht solvent sind. Mit financial dominance geht die Gefahr von Moral Hazard und Marktverzerrung einher und – schlimmstenfalls – das Risiko der monetären Finanzierung.

Aber wie kann sich eine Zentralbank in diese Gefahr begeben – sicherlich ist es auch eine Folge der Informationsasymmetrien zwischen der Zentralbank ohne Aufsichtsfunktion auf der einen Seite und den Banken und nationalen Aufsehern auf der anderen Seite. Um die Solvenz einer Bank beurteilen zu können, braucht es oft mehr als die Eigenkapitalquote. Umfassende Kenntnisse der Kapitalsituation sowie des Risikoprofils der Bank sind für eine derartige Einschätzung ein echtes Plus. Dies gilt insbesondere in Finanzkrisen, in deren Verlauf eine Beurteilung der Solvenz und Risikotragfähigkeit einer Bank von vielen verschiedenen quantitativen und qualitativen Parametern abhängt; wir müssen uns nur kurz an die oft schwierige Bewertung von Vermögenswerten erinnern, die in der Krise unter Druck geraten oder nicht marktgängig waren.

Dieser Aspekt ist für die EZB von größerer Bedeutung als für manch andere Zentralbanken. Denn unsere Geldpolitik funktioniert über den Transmissionskanal Banken, ist also bankbasiert. So sind für unsere Offenmarktgeschäfte derzeit knapp 1.800 Geschäftspartner registriert. Die amerikanische Federal Reserve zählt im Vergleich dazu nur 21 Primärhändler. 72% unserer Geschäfte werden über direkte, (selbstverständlich besicherte) Kredite an Banken abgewickelt, eine derartige Kreditvergabe kennt die Fed nicht. Für diese Art der Geldpolitik sind Informationen über die Bonität unserer geldpolitischen Geschäftspartner unerlässlich.

Genau hier kann die Einrichtung des SSM eine wichtige Ergänzung zur Geldpolitik darstellen. Eine gut aufgestellte, handlungsfähige europäische Aufsicht kann frühzeitig entstehende bankinterne Risiken erkennen und so die Widerstands- und Risikotragfähigkeit der Banken stärken. Zusätzlich wird die EZB für den Krisenfall auf das fundierte Urteil des SSM zurückgreifen können. Dies gilt insbesondere für die sogenannten Notfall-Liquiditätshilfen (Emergency Liquidity Assistance), für deren Gewährung die nationalen Zentralbanken verantwortlich sind. Hier wird der EZB-Rat bei seiner Entscheidung, ob er Einwände gegen die nationale Notfall-Liquiditätshilfe äußern will, unter anderem auf die Kenntnisse des SSM setzen können [1].

Nun will ich hier nicht das Loblied der Synergie-Effekte singen, ohne nicht auf einige Probleme hinzuweisen.

Erstens kann „financial dominance“ nicht nur entstehen, wenn die EZB mangels ausreichender Informationen Liquidität an nicht überlebensfähige Banken gibt. Financial dominance könnte auch entstehen, wenn die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnt, unsere Zinsbeschlüsse würden von Bedenken über deren Wirkungen auf die Institute beeinflusst, wir also einem Zielkonflikt unterlägen. Unsere Glaubwürdigkeit stünde dann auf dem Spiel. Deshalb legen wir in den Arbeits- und Entscheidungsabläufen großen Wert auf die Trennung – die Separation - zwischen geldpolitischen Entscheidungen und Aufsichtsentscheidungen. Deshalb wird die Funktionstrennung unterhalb des EZB-Rates strikt eingehalten werden und geldpolitische Entscheidungsvorlagen werden dem EZB-Rat vorgelegt, ohne dass eine aufsichtliche Analyse einfließt, und vice versa.

Erst im EZB-Rat werden die Entscheidungsvorlagen auf ein und dasselbe Entscheidungsgremium treffen. Wenn beispielsweise Aufsichtsmaßnahmen gegen einzelne Banken getroffen werden, leitet das Aufsichtsgremium (Supervisory Board) den Entwurf des finalen Beschlusses an den EZB-Rat im Verfahren der impliziten Zustimmung weiter – das Verfahren stellt sicher, dass die Mitglieder des EZB-Rats den Beschluss nicht ändern, sondern lediglich ablehnen können. Dieses Prinzip der klaren Trennung unserer unterschiedlichen Aufgabenbereiche wird auch vom Europäischen Parlament sorgfältig beobachtet.

Um einem möglichen Eindruck von fiscal dominance wirksam von sich weisen zu können, müssen systemrelevante Banken auch ohne Gefahr für die Finanzstabilität abgewickelt werden können.

Derzeit entsteht ein europaweites Rahmenwerk für die Abwicklung von Banken, ein einheitlicher Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism) mit einem Abwicklungsfonds. Damit sind wir einen wesentlichen Schritt in der Lösung des too big to fail-Problems vorangekommen. Der Abwicklungsmechanismus wird auch dem Schutz der Zentralbank dienen, denn er ermöglicht eine europaweit geordnete Abwicklung eines systemrelevanten Institutes, ohne dass sich der EZB-Rat bei kurzfristigem Liquiditätsentzug Gedanken über die Nebenwirkung auf die Finanzstabilität machen muss.

Ein wirksame Aufsicht und die geordnete Abwicklung von Banken unterstützt damit auch das geldpolitische Mandat der EZB. Es hilft der Zentralbank bei der Erfüllung ihrer Aufgabe, das heißt der Bereitstellung von Liquiditätshilfen, ohne dass sie befürchten muss, ihr Mandat zu überschreiten.

2. Verbesserung der geldpolitischen Transmission

Das Eurosystem stellt Banken Liquidität zur Verfügung, um die Finanzintermediation am Geldmarkt aufrechtzuerhalten und die geldpolitische Transmission zu verbessern. Damit die geldpolitische Transmission bestmöglich wirkt, bedarf es eines stabilen Finanzsektors. Denn Banken stellen den wichtigsten Kanal dar, über den unsere geldpolitischen Impulse an Unternehmen und private Haushalte weitergegeben werden. Und nur gesunde Banken können ihrer Rolle als Kreditgeber gerecht werden. Geldpolitik und Bankenaufsicht haben deshalb großes Interesse an soliden Banken mit tragfähigen Geschäftsmodellen, die die Realwirtschaft mit Krediten versorgen können.

Aber wie unterstützt nun der einheitliche Aufsichtsmechanismus die geldpolitische Transmission?

Zunächst wird das Comprehensive Assessment, der Gesundheitscheck der Banken, eine wesentliche Rolle spielen. Mit der umfassenden Bewertung der Bankbilanzen sollen Altlasten aufgedeckt werden und alle Banken direkt beaufsichtigen mit einer soliden Kapitalausstattung in die Aufsicht des SSM übergehen. Und diese Bewertung kann eine katalytische Wirkung haben.

Die meisten Banken haben im Vorfeld des Gesundheitschecks ihren Fremdkapitalabbau beschleunigt oder neues Eigenkapital aufgebaut. Die Summe der Bankbilanzen nahm allein 2013 um rund 20 Prozentpunkte des BIP ab. Seit Juli 2013 haben die knapp 130 Banken Kapital in Höhe von etwa 140 Milliarden Euro gebildet [2]. Als Ergebnis des Gesundheitschecks wird das eine oder andere Institute weitere Rückstellungen bilden oder Kapital aufnehmen. Eine langwierige Phase der Bilanzsanierung wird so erheblich verkürzt werden.

Bei der Kreditvergabe sehen wir bereits erste positive Signale. Der Rückgang bei der Kreditvergabe an Unternehmen und private Haushalte hat sich stabilisiert. Und unser jüngster Bank Lending Survey deutet darauf hin, dass sich im zweiten Quartal 2014 die Kreditvergabestandards für alle Kreditkategorien auf Nettobasis lockerten.

Der einheitliche Aufsichtsmechanismus kann einen weiteren wesentlichen Beitrag zur Unterstützung der Geldpolitik leisten; richtig aufgestellt könnte er im besten Fall die Wirksamkeit der Geldpolitik während des nächsten Kreditzyklus steigern. An dieser Stelle kommt das Zusammenspiel von mikroprudenzieller und makroprudenzieller Politik – die zweite Seite in der Dreiecksbeziehung - zum Tragen.

Viele Banken im Euroraum mussten, wie gesagt, einen erheblichen Teil ihres Fremdkapitals in der Krise abbauen; sie waren in dieser Krisensituation nicht widerstandsfähig genug. Einigen Banken fiel es wegen zu niedriger Eigenkapitalquoten schwer, sich zu refinanzieren. Deshalb mussten sie während des Abschwungs ihre Kapitalquote erhöhen, was die Vergabe neuer Kredite dämpfte.

Dieses zyklische Verhalten kann mit Instrumenten aus der mikro- und makroprudenziellen Aufsicht vielleicht nicht beseitigt, aber sicherlich gedämpft werden. Die europäische Aufsicht wird einen präventiven, risikoorientierten Aufsichtsansatz verfolgen. Wir werden dabei nicht nur auf die Einhaltung von aufsichtsrechtlichen Mindest-Kapital- und Liquiditätsquoten dringen. Wir werden vor allem prüfen, ob die Geschäftsmodelle der von uns direkt beaufsichtigten Banken nachhaltig sind, ob bankinterne Kontrollstrukturen und Governance angemessen aufgestellt sind und ob die Institute Krisensituationen überstehen könnten. Wird in einer Aufschwungphase die Widerstandsfähigkeit der Bank erhöht, sinkt damit die Notwendigkeit, in der Abschwungphase Kapital zur Stärkung des Marktvertrauens aufzunehmen. Unter solchen Umständen sollte es dann eher möglich sein, makroprudenzielle Instrumente einzusetzen, die die Kreditvergabe unterstützen, wie den Abbau von antizyklischen Kapitalpolstern. Dies würde im Gegenzug der Geldpolitik helfen, stärker vorhersehbare Wirkungen während des gesamten Wirtschaftszyklus zu erzielen.

Doch nicht immer müssen die Interessen der Bankenaufseher und derjenigen, die makroprudenziellen Überwachung verantworten, gleich gerichtet sein. Ich kann mir durchaus Situationen vorstellen, in denen der Aufseher ein mehr an Kapital und Liquidität oder die Erhöhung von Einschusspflichten als notwendig empfindet, während systemisch betrachtet zyklisches Verhalten als Krisen verstärkend empfunden wird.

Die Verbindung beider Aufgabenbereiche bei der EZB kann sich auch hier als hilfreich erweisen, indem potenzielle Konflikte intern gelöst werden. Der Vorteil, den EZB-Rat als Entscheidungsorgan für alle drei Politikfelder zu haben, besteht darin, dass er sich ein holistisches Bild der systemischen Risiken machen kann und so zwischen Mikro- und Makroüberlegungen abwägen und ein Gleichgewicht finden kann, das im Gegenzug der Geldpolitik zugutekommen dürfte.

Doch dies ist nicht der einzige Vorteil für die Geldpolitik. Durch das Bündeln der Funktionen in der EZB können bei der Auswahl der Instrumente, die Gefahren für die Finanzstabilität dämpfen sollen, im besten Fall Synergien entstehen. Denn einige geldpolitische Instrumente, wie beispielsweise Anpassungen der Sicherheitsabschläge oder der Mindestanforderungen an Sicherheiten, überschneiden sich mit makroprudenziellen Maßnahmen, die auf Liquidität und Einschusspflichten abzielen.

Das Zusammenspiel zwischen Mikro- und Makroprudenz kann also die Geldpolitik nicht nur während des Zyklus unterstützen. Es kann auch dafür sorgen, dass die Geldpolitik sich nicht mit Problemen auseinandersetzen muss, die an der Grenze ihres Mandats liegen könnten.

Gleichzeitig bringt die Bündelung innerhalb der Zentralbank auch große Vorteile für die mikroprudenzielle Aufsicht mit sich. Für geldpolitische Beschlüsse werden umfangreiche Wirtschaftsanalysen gefertigt, auf die die Aufseher zurückgreifen können, um zusätzliche Informationen über das Umfeld, die Bedingungen zu erhalten, unter denen die Banken ihr Geschäft betreiben. Die EZB hat umfassende Marktkenntnis und liefert so unter anderem Echtzeit-Einblicke in die allgemeine Refinanzierungssituation der Banken. Kurz gesagt, der Austausch von Know-how und Informationen schafft Synergien und führt zu fundierteren Aufsichtsentscheidungen und -ergebnissen.

3. Steuerung des Finanzzyklus

Bislang habe ich mich eher zu dem Zusammenspiel zwischen den Aufgabenbereichen in der Abschwungphase des Zyklus geäußert. Doch was ist mit dem Aufschwung?

In den letzten Jahren wurde viel darüber diskutiert, inwieweit Zentralbanken bei der Steuerung des Finanzzyklus eine Rolle spielen sollten – ob sie sich „gegen den Wind lehnen“ sollten. Vor der Krise waren viele Meinungsträger der Ansicht, dass es angesichts der Schwierigkeit, Blasen vor ihrem Entstehen zu erkennen, eher die Aufgabe der Zentralbank sei, nach dem Platzen der Blase die Schäden zu beseitigen.

Mit der Krise jedoch, bei der ein langer Finanzboom große Auswirkungen auf die Preisstabilität hatte, haben etliche Ökonomen ihre Meinung geändert: weit häufiger findet man heute die Forderung, dass Zentralbanken Risiken für die Finanzstabilität bei ihren Entscheidungen berücksichtigen sollten.

Die EZB hat bei ihren geldpolitischen Entscheidungen schon immer Finanzstabilitätserwägungen mit einbezogen. In unserer Zwei-Säulen-Strategie sind finanzielle Ungleichgewichte ein wichtiges Element bei der Entscheidung, welche Maßnahmen notwendig sind, auch wenn es um zu niedrige Inflation geht. Insbesondere die monetäre Säule erfasst den Zusammenhang zwischen übermäßiger Kredit- und Liquiditätsschöpfung und potenziellen Risiken für künftige Preisentwicklungen, auch eines destabilisierenden Vermögenspreisbooms. Wir sind bewusst mittelfristig in unserem Handel ausgerichtet. Das gibt uns einen ausreichend langen Horizont, um finanzielle Ungleichgewichte in unserer Strategie zu berücksichtigen. Elemente eines „Lehnen-gegen-den-Wind“-Ansatzes sind also implizit enthalten.

Sollten jedoch Anhaltspunkte für die Entstehung finanzieller Ungleichgewichte auftauchen, müssten wir sorgfältig abwägen, ob der Einsatz der geldpolitischen Standardinstrumente als Reaktion angemessen ist. Hierfür gibt es zwei Gründe.

Erstens könnte dies im Widerspruch zu unserem Auftrag stehen, Preisstabilität zu bewahren. Schätzungen der BIZ zufolge umfasst der Finanzzyklus in der Regel rund 16 Jahre, im Vergleich zu 8 Jahren für den Geschäftszyklus. Diese Asynchronität kann zu Phasen führen, in denen die Inflation eine Zinssenkung notwendig machen, während die Finanzdaten für eine Zinserhöhung sprechen. Würden wir allein den Finanzzyklus beachten, könnten wir selbst mit unserer mittelfristigen Ausrichtung zu Kompromissen in Bezug auf unser Ziel der Preisstabilität gezwungen sein. Dies wäre nach unserer Zielhierarchie, die der Geldpolitik den Vorrang gibt, nicht zulässig.

Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, welcher zinspolitische Kurs denn eingeschlagen werden müsste, um einem übermäßigen Kreditwachstum entgegenzuwirken. Einige Studien kommen zu dem Schluss, dass in einem stark fremdfinanzierten Boom selbst kleine Zinssatzänderungen starke Auswirkungen haben können. [3] Andere Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass eher große Zinsbewegungen erforderlich wären, um dem Finanzzyklus entgegenzuwirken, was im Gegenzug einen Kollateralschaden für die Wirtschaft und Preisstabilität verursachen würde. [4]

Geldpolitische Instrumente einzusetzen, um die Finanzstabilität zu stärken, scheint schließlich angesichts der Heterogenität im Euroraum ein zu grober Ansatz zu sein. So war zum Beispiel in einigen späteren Krisenländern die Kreditvergabe in der Zeit vor 2008 um 10 Prozentpunkte höher als in den Nichtkrisenländern. Eine Zinserhöhung der EZB, die ja immer für den gesamten Euroraum gilt, hätte sich zu stark auf jene Regionen ausgewirkt, die nicht von einer exzessiven Kreditvergabe betroffen waren.

Wenn aber geldpolitische Instrumente nicht immer auch gleichzeitig für Finanzstabilitätsaspekte zufriedenstellen können, dann gibt es nur eine Schlussfolgerung: wir müssen konsequent die „Tinbergen-Regel“ anwenden; wir brauchen mindestens so viele Instrumente wie wir Ziele erreichen müssen. Ein anderes Ziel erfordert ein zusätzliches Instrument, das geeignet und verhältnismäßig ist.

Genau hier kommt der SSM zum Tragen – genauer gesagt der Zusammenhang zwischen makroprudenzieller Politik und Geldpolitik, der dritten Seite der Dreiecksbeziehung. Grundsätzlich sollte es durch die Ausweitung des Instrumentariums, das der EZB zur Verfügung steht, mit dem SSM einfacher sein, eine klare Aufgabentrennung zwischen den beiden Politikfeldern herzustellen. Die Geldpolitik sollte sich auf die Preisstabilität fokussieren, die eine relevante Größe im gesamten Euroraum ist. Im Mittelpunkt der makroprudenziellen Politik sollte die Finanzstabilität stehen. Ein besonderer Akzent könnte dabei auf spezifische regionale oder sektorale Ungleichgewichte gelegt werden.

Es mag jedoch Umstände geben, unter denen eine saubere Trennung nicht so einfach ist. Dies ist etwa der Fall sein, wenn der Finanzzyklus sich über Sektoren und Länder erstreckt und eine Gefahr für die künftige Preisstabilität darstellt. Dann könnte eine Kombination aus geldpolitischen und makroprudenziellen Maßnahmen die richtige Antwort sein.

Gerade für die makroprudenziellen Maßnahmen gibt es eine Fülle von verschiedenen Fragen und Unsicherheiten über ungewollte Spillover-Effekte eigentlich regional begrenzter Maßnahmen auf andere Länder oder den gesamten Euroraum. Unter solchen Bedingungen kommt es der Geldpolitik zugute, dass die EZB auch für die Bankenaufsicht verantwortlich ist. Denn bei all diesen Fragestellungen konzentriert sich die Entscheidungsfindung beim EZB-Rat. Dem EZB-Rat kommt die Rolle zu, einen optimalen Policy-Mix sicherzustellen.

Was die makroprudenzielle Politik betrifft, so spielen die nationalen Behörden, wie ich bereits gesagt habe, weiterhin eine wichtige, gestaltende Rolle. Sie haben umfangreiche Kenntnisse über die jeweiligen nationalen Wirtschafts- und Finanzsysteme. Die Gouverneure der meisten nationalen Zentralbanken sind in der jeweiligen nationalen makroprudenziellen Aufgabe involviert. Damit werden der Austausch und die Abstimmung im EZB-Rat zwischen nationalen und europäischen makroprudenziellen Maßnahmen erheblich erleichtert.

Sollte es dennoch zu unterschiedlichen Auffassungen kommen – zum Beispiel in Bezug auf die systemischen Konsequenzen einer festgelegten Maßnahme – ist die EZB gemäß EU-Gesetzgebung autorisiert, bestehende makroprudenzielle Maßnahmen, die von nationalen Behörden umgesetzt wurden, nachzubessern oder Empfehlungen für neue Maßnahmen auszusprechen.

4. Zusammenfassung

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich kurz zusammenfassen:

Ich wollte Ihnen heute die künftigen Aufgabenbereiche der EZB, die künftige Dreiecksbeziehung in der EZB näherbringen. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus und die neue Aufgabe in der makroprudenziellen Überwachung werden, richtig aufgestellt, nicht die Zielsetzung der Zentralbank verwässern, sondern können vielmehr als Nebeneffekt zu einer Stärkung unseres geldpolitischen Auftrags beitragen. Und die Geldpolitik kann sich auf ihre Aufgabe konzentrieren, Preisstabilität zu wahren. Die Bankenaufsicht sorgt für eine stärkere Widerstandsfähigkeit der Banken; makroprudenzielle Instrumente sollen dämpfend auf Vermögenspreisblasen und zyklische Verhaltensweisen wirken. Der Abschluss der Bankenunion wird des Weiteren wesentlich zur Wahrung der Finanzstabilität in der Zukunft beitragen.

Gleichwohl dürfen wir nicht der Gefahr der Selbstüberschätzung erliegen – wir dürfen nicht der Vorstellung erliegen, dass mit dem SSM alle Probleme gelöst werden. Die Gesundheit einzelner Banken hängt nicht nur von der Aufsicht ab, sondern auch von der Gesamtwirtschaft und der Struktur des Bankensystems; und darauf hat die EZB nur begrenzt Einfluss. Und wir dürfen nicht vergessen, dass irrationaler Überschwang, wie in manch einer „Blase“ ex post zu entdecken, einfach Teil der menschlichen Natur ist. Auch das müssen wir als Lehre aus der Krise mitnehmen.

  1. [1]Gemäß Artikel 14.4 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (ESZB-Satzung) ist jedoch der EZB-Rat für die Beschränkung von ELA-Operationen verantwortlich, wenn er der Auffassung ist, dass diese Operationen nicht mit den Zielen und Aufgaben des Eurosystems vereinbar sind. Diesbezügliche Beschlüsse werden vom EZB-Rat mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Für weiterführende Informationen siehe: https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/201402_elaprocedures.de.pdf?e716d1d560392b10142724f50c6bf66a.

  2. [2]Diese Zahlen basieren ausschließlich auf öffentlich verfügbaren Daten; bei den Berechnungen wurden einbehaltene Gewinne und andere Kategorien nicht berücksichtigt. Entsprechend dürften die tatsächlichen Zahlen höher sein.

  3. [3]Siehe Adrian, T. und H.-Y. Shin (2010), „The Changing Nature of Financial Intermediation and the Financial Crisis of 2007-09“, Federal Reserve Bank of New York Staff Report Nr. 439, März 2010.

  4. [4]Siehe zum Beispiel Bean, C., M. Paustian, A. Penalver und T. Taylor, „Monetary Policy After the Fall“, 28 August 2010.

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